In Jahren…
Sanft nahm Sybell ihre Tochter in den Arm, strich ihr über das Haar während Ailis in ihr Kleid weinte. Die Zeit war gekommen, Abschied zu nehmen. Und doch fiel dieses einer jungen Frau wie Ailis natürlich nicht leicht. Sie musste alles hinter sich lassen was sie kannte. Ihre Eltern, ihre Freunde, ihre bekannte Umgebung. Sybell konnte mit ihr mitfühlen auch wenn ihr eigener Abschied nun so viele Jahre zurück lag.
“Weine nicht, Liebes. Du wirst sehen, alles wird gut werden. Ja, es tut weh am Anfang aber Du wirst glücklich werden, das verspreche ich Dir. Hab einfach ein offenes Herz und offene Augen.” Sie gab Ailis einen sanften Kuss auf die Stirn. Ihre Tochter nickt und schniefte die Tränen nach oben. Sie versuchte es sogar mit einem kleinen Lächeln. Sybell strich ihr über die Wange.
“Ja genau so. Gehe mit einem Lächeln auf die Menschen zu. Sie werden Dich dafür lieben und Du weißt, Liebes, ich hätte niemals diese Heirat unterstützt wenn Amlir ein schlechter Mann wär. Ihr kommt doch gut miteinander zurecht. Also erinnere Dich immer an das, was ich Dir sagte und in wenigen Wochen sind ja Vater und ich auch wieder bei Dir und wir werden ein wunderbares Hochzeitsfest haben.”
Sie lächelte aufmunternd und gab ihrer Tochter eine letzte Umarmung und einen letzten Kuss. Dann stieg diese in die Kutsche. Sybell zog ihr Schultertuch ein wenig fester. Auch wenn es ungewöhnlich warm für April war so war der Wind immer noch frisch. Sie wusste, dass über ihr mit Sicherheit Cinlir aus seinem Amtszimmer schauen würde. Er war noch nie gut in Abschieden gewesen und vergrub seinen Schmerz wie so häufig unter der Maske der Geschäftigkeit. Den Großteil des Sanftmuts, den er sich im Breeland angeeignet hatte vor so vielen Jahren, hatte er in Gondor wieder verloren. Nur in wenigen Momenten, wenn er mit ihr, seinen Kindern oder seinen Brüdern sprach kam die Wärme wieder in seine Augen, die mittlerweile von grauen Schläfen umrahmt wurden.
Giselher trat aus dem Haus, lächelte Sybell zu und begab sich dann auch in die Kutsche, die sich dann mit einem Rucken sich die Kutsche in Gang setzte. Sybell winkte ihr hinterher bis sie außer Sichtweit hinter den Mauern des Anwesen verschwunden war. Dann atmete sie durch, straffte ihre Schultern und ging zurück in die Mauern die nun seit so vielen Jahren ihr Heim waren auch wenn sie sich hier niemals so heimisch fühlen würde wie in Ost Agar. Wie es Ailis wohl in Dol Amroth ergehen würde? Sybell ging davon aus, dass das warme und herzliche Wesen ihrer Tochter alle schnell in den Bann ziehen würde. Wusste, dass ihr Dol Amroth gefallen würde und wusste, dass ihr Ehemann, ein entfernter Cousin von Sybell, ihr ein guter Ehemann sein würde. Ja, es würde schon gut werden.
Sie stand einen Moment in der großen Eingangshalle, unsicher, was sie jetzt tun würde. Das Haus war ungewöhnlich still ohne das helle Lachen ihrer Tochter. Theron war wie den ganzen Tag mit seiner Ausbildung beschäftigt und auch der kleine Nolan drückte mit seinen 8 Jahren die Schulbank. Ein etwas härter Ausdruck umspielte ihre Lippen. Wenn sie damals nicht die kleine Tochter bei der Geburt verloren hätte, hätte sie jetzt noch ein kleines elfjähriges Mädchen. Doch Cinlir hatte wie bei der Geburt von Ailis und Theron Heridan angewiesen gehabt, dass, sollte es Komplikationen geben, sie selber zu überleben hatte. Und sie war zu sehr mitgenommen von den unglaublichen Schmerzen, war nicht mehr wirklich bei Sinnen gewesen, um etwas dagegen zu unternehmen. Als sie wieder erwachte wurde ihr nur mitgeteilt, dass ihre Tochter die Geburt nicht überlebt hatte. Doch der Schmerz darüber, den sie jetzt noch bei der Erinnerung verspürte war über die Jahre dumpf geworden.
Sie atmete erneut durch, nahm den restlichen Weg zu ihrem kleinen Salon der in hellen freundlichen Farben gehalten war. Sie ließ sich auf einem Sessel an dem fröhlich prasselnden Feuer nieder und nahm ihr Stickzeug auf. Wie den Tag zuvor, den Tag davor und davor.