There is nothing either good or bad, but thinking makes it so.

Die Sonne lässt ihre letzten Strahlen auf dem See hinter den Haus spielen, während Sybell auf der Bank unter einem Sonnensegel sitzt, ihr Schreibpult auf dem kleinen Tisch vor sich ausgeklappt. Sie schaut einen Moment dem Sonnenspiel zu, dann tunkt sie ihre Feder in die Tinte und beginnt in ihr Tagebuch zu schreiben.

Ich weiß nicht, woran es liegt: Daran, dass ich älter werde? Daran, dass ich neues Leben in mir tragen? Oder schlicht und einfach daran, dass ich zu viel Zeit habe nachzudenken? Ich wundere mich über die Vorgänge hier, beobachte still aus den Erzählungen von Cinlir und spüre auch eine Veränderung, die in ihm vorgeht. Er ließ mir das Tagebuch von dem vormaligen Fürsten da.

Ihr Blick fällt kurz auf das Buch, welches neben ihr auf der Bank liegt. Bisher ungeöffnet, ungelesen von ihr. Ihre linke Hand wandert kurz zu ihm, doch zuckt sie im letzten Moment zurück. Ein kurzer Blick zu dem See, dann schreibt sie weiter.

Bisher habe ich es nicht gelesen, ja ich traue mich nicht es zu öffnen. Cinlir meint, Salas sei wahnsinnig gewesen und dass man ihn nicht verstehe. Ich habe Angst davor die Worte dort zu lesen, habe Angst davor, was die persönlichen Worte eines Wahnsinnigen mit Macht mit mir machen könnten. Oder mach Macht immer etwas wahnsinnig? Zumindest in den Augen der Untergebenen? Ich denke nicht, dass hier überhaupt jemand außer mir Cinlir wirklich versteht. Wirklich weiß warum er so handelt, wie er handelt. Es lastet schwer auf seiner Seele, dass er sein Bestes gibt und doch missverstanden wird. Gestern sagte mein Vater zu mir, der übrigens wirklich albern aussieht ohne Bart und Augenbrauen, dass Cinlir richtig entspannt war auf dem Fest. Nur als er nach Hause kam, sprach sein Verhalten eine ganz andere Sprache. Ich habe ihn lange nicht mehr so aggressiv erlebt und er ist nur aggressiv wenn er entweder dem Feind gegenüber steht oder frustriert ist. Er hat mir nicht gesagt, was vorgefallen war und in diesen Momenten gebe ich ihm das, was er braucht, und frage nicht nach. Als er sich etwas beruhigt hatte, fiel der Name Cardaan, jedoch weiß ich nicht was dieser getan hat. Ich glaube, ich sollte einmal mit Giselher sprechen. Ihm erklären wie Cinlir denkt und fühlt, damit Cinlir immer jemanden an seiner Seite hat, der seine Beweggründe kennt, seine tiefsten Wünsche und Sehnsüchte kennt. Er gibt doch sein Bestes sich hier einzugliedern und unser neues Fürstenhaus stark und gnädig zu führen.

Erneut ein kurzer Blick zu dem Buch neben sich.

Salas wusste wohl besser wie mit den Männern hier umzugehen ist. Wahrscheinlich war er in Gondor fremd und hat hier seinen wahren Ursprung gefunden. Wir sind und bleiben hier Fremde. Die Gondorer, die von den Breeländern missverstanden werden, belächelt werden. Es gibt hier ein Sprichwort: Was der Bauer nicht kennt, dass isst er nicht. Wahrscheinlich ist das hier in mehreren Aspekten wahr. Ich weiß nicht, ob uns wirklich jemand vertraut. Natürlich haben sie den Eid geschworen, aber wirkliches Vertrauen? Urvertrauen? In Gondor vertraut man seinem Eidherren, wie man seinem Vater vertraut, wenn man ein Kind ist. Ohne zu Hinterfragen, die Entscheidungen annehmend und drauf vertrauend, dass es die Richtigen sind, selbst wenn man sie im ersten Moment nicht verstehen mag. Dieses ist hier nicht der Fall. Jeder scheint zu denken, er sei klüger als der andere, wisse besser über den Lauf der Dinge Bescheid. Sobald jemand über einem steht rein vom Geburtsrecht her, wird es suspekt aufgenommen. Kein Wunder, dass es hier nur Bürgermilizen gibt und jene, die einmal vor vielen hundert Jahren das Breeland beherrschten nach dem Angriff aus dem Norden nicht mehr in diesen Landen weilen. Dies ist ein Land der Bauern und Bürger, so wie Gondor das Land des Adels ist. Die Zeit wird zeigen, welche Form überdauern wird. Es fehlt ein König, der die Lande wieder unter seiner Führung vereint, so dass die Menschen gemeinsam im selben Schritt den selben Weg gehen. Die Gerüchte bejahen dieses, doch wie viel ist an ihnen dran? Hier im Breeland sind wir zu weit ab von dem Geschehen der Welt, als dass man ihnen auf den Grund gehen könnte. Aber so wie es jetzt ist, müssen die, die führen, versuchen ihren Weg zu gehen, jenen Weg, den sie nach bestem Wissen und Gewissen erwählen und der Hoffentlich Frieden und Glanz bringen wird.

Doch möchten alle, die führen, dieses auch wirklich tun? Wenn ich Giselher betrachte, dann wahrscheinlich nicht. Er, der Sohn eines breeländer Bauern, ist nun Ritter Gondors. Ich weiß nicht, ob ihm wirklich bewusst ist, warum Cinlir ihn erhoben hat, weiß nicht, ob er wirklich sieht zu wie viel er fähig ist. Er braucht eine Frau an seiner Seite, die ihm Kraft gibt und ihm den Weg zeigt, den er zu gehen hat. Cinlir wünscht ihn mit einer Frau von Stand und Vermögen zu verheiraten und sicher ist es das Angemessenste für einen Ritter Gondors in der Theorie, doch in Giselhers Fall bin ich mir nicht sicher, ob dieses wirklich das Richtige wäre. Zwar hat er die Position, doch sein Charakter spricht eine andere Sprache. Er, der Ritter Gondors, war noch nie in diesem Land, welches er nun bis zum Tode verteidigen soll. Eine Gondorerin von Stand, würde nicht mit ihm funktionieren. Ihre Ansichten wären gänzlich unterschiedlich, er würde aus Zärtlichkeit und Zurückhaltung heraus, nie mit harten Worten sich zum Mann der Beziehung machen können. Er wäre wahrscheinlich eingeschüchtert von ihrer Herkunft und ihrem Wissen, unabhängig davon wie jung sie auch sein mag. Und eine ungebildete Frau, die wirklich nur ihr Aussehen, ihren Namen und ihr Geld hat, um sich zu empfehlen, würde ihn langweilen und unterfordern und nie würde es so etwas wie Zärtlichkeiten, Vertrautheit oder gar Liebe geben können. Sind die inneren Standesunterschiede zu groß, entstehen nur viel zu viele Probleme. Man muss sich nur Ellena und den Grafen Salas anschauen. Auf dem Papier mag ihre Ehe perfekt erscheinen, doch trotz der Liebe, die sie wohl füreinander empfinden oder empfunden haben, ist dieses keine glückliche Ehe, keine Ehe, die von Vertrauen und Verständnis füreinander geprägt ist. Ich trauere für Ellena und wünsche mir von Herzen für Giselher eine andere Ehe nachdem ihm seine Verlobte verlassen hat. Er braucht eine junge, fröhliche, unkomplizierte Frau, die aber dennoch nicht verweichlicht und dümmlich ist. Nun, das schreibt sich so einfach aber eine solche Frau finden, ist etwas ganz anderes, vor allem an diesem Ort und zu diesen Zeiten.

Ebenso bräuchte sein Knappe bzw. derzeit der Knappe des Freiherren mal eine Frau, die ihm seinen Weg zeigt. Er will Ritter werden und das in seinem Alter und mit seinem Geist. Ich weiß nicht, warum Cinlir ihm diesen Weg ermöglicht, da es so sein wird, dass er nie ans Ziel kommen wird und das wird diesen Mann so sehr betrüben, dass ich nicht weiß, ob er sich jemals davon erholen wird. Auch der Freiherr ist immer noch ohne Frau an seiner Seite, aber bei ihm mache ich mir keine Gedanken. Er wird seine Energie erst einmal darauf verwenden Gondor in diesem Kriege beizustehen und dann, wenn der Schlachtenlärm verklungen ist wird er eine Frau finden und seinem neuem Haus zum Glanze verhelfen. Doch was ist eigentlich mit Cardaan? Über ihn weiß ich bisher zu wenig, außer, dass er dem Hause schon einmal diente. Vielleicht liegt die Antwort darauf in den Zeilen des Buches, dass hier neben mir liegt. Ich werde es wohl doch lesen müssen. Den besten Blick hat man immer noch aus dem Hintergrund abseits und nicht inmitten der Geschehnisse. Vielleicht finde ich ja einige von den Antworten, die Cinlir sucht…

Sie legt ihre Feder beiseite, schaut noch kurz zweifelnd auf das Buch neben sich aber nimmt es dann zur Hand. Sie schlägt es auf und lässt ihre Finger erst einmal über die erste Seite gleiten, dann beginnt sie zu lesen.