Nachdenklich stand Layana bei dem aufgebahrten Toten im Tempel. Die großen Kerzen erhellten flackernd das bleiche Gesicht in dem ebenso bleichen Totengewand aus Leinen. Bisher waren nur einige Diener Avals gekommen und Mitglieder der Bruderschaft, keine Familie. Layana atmete tief durch. Die kostbaren Kräuter, die verbrannt wurden, um den Toten auf dem Weg zu Sertan zu begleiten, lagen schwer und vertraut in der Luft. Der Tod war kein Ende nur ein Weg, den jeder Mensch nehmen muss. Mit diesem Wissen ist sie aufgewachsen in dem Tempel Sertans und dieses Wissen half ihr, dass sie keinerlei Angst vor dem Tode hatte wie die meisten Menschen. Immer hat sie versucht ihnen die Angst zu nehmen vor dem Sterben, hat versucht den Hinterbliebenen die Trauer zu erleichtern, doch ein Abschied war immer schwer. Von diesem Manne haben sich wenige verabschiedet und in jenen Herzen lagen auch mehr Wut und der Drang herauszufinden wer der Mörder ist, kein Mitleid, keine liebevolle Trauer.
Auch die Menschen, die in diesen Tagen den Mann besuchten, der in der Zelle vegetierte, der Mann, der versuchte den Magistraten zu ermorden, besuchte niemand seiner Familie. Als er das erste Mal zu ihr kam, hat er gesagt, dass er sich nach einer sehnte. Nach einer Frau und Kindern – einem steten Leben. Diese Wünsche sollte er nun mit zu Sertan nehmen.
In der Stille des Tempels in dem flackernden Kerzenlicht sah niemand, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten.
Und dem Magistraten schickte Sertan Erinnerungen in seinen Träumen. Sie hatte versucht ihm zu erklären, was dieses bedeuten könnte, doch der Magistrat ist uneinsichtig gewesen, wollte nicht erkennen was dieses für ihn bedeuten könnte. Er hatte ihr gesagt, dass er eine Frau geliebt hatte, die dann auf dem Scheiterhaufen starb. Er litt unter dem Gesetz und der Gerechtigkeit und somit zog er für sich wohl den Schluss, dass dieses allen so ergehen müsse. Natürlich hat er in all den Jahren Silfurt fest regiert. Das Chaos der Jahre zuvor war gebändigt worden und doch….und doch….
Sie atmete erneut tief durch und ließ sich durch den Kräuterdampf beruhigen. Es war nicht ihre Aufgabe sich darüber solche Sorgen zu machen. Sie hatte ihm alles gesagt, was es zu sagen gab ebenso wie Sertan ihm anscheinend alles zeigte, was er für nötig erachtete. Was der Magistrat nun daraus für eine Lehre zog war seine Entscheidung.
Sie versuchte ihre Erinnerungen beiseite zu schieben und begann dann mit geschlossenen Augen leise ein Gebet an Sertan zu sprechen.
Komme zu uns, Sertan,
denn es will Abend werden
und der Tag hat sich geneigt.
Komme zu den Lebenden und den Toten.
Komme zu uns am Abend des Tages,
am Abend des Lebens, am Abend der Welt.
Komme zu uns mit deiner Weisheit und Güte,
mit deinem Wort und Balsam,
mit deinem Trost und Segen.
Komme zu uns, wenn über uns kommt
Die Nacht der Trübsal und Angst,
die Nacht des Zweifels und der Anfechtung,
die Nacht des bitteren Todes.
Komme zu uns und bleibe bei uns allen
In Zeit und Ewigkeit.